Selbstorganisation hilft!

5. März 2019 / von Farina

Nach vier Tagen in der Kooperative El Triunfu in Barquisimeto ein paar Eindrücke aus meinem Alltag in einer venezolanischen Großstadt…

Es ist brütend heiß. Eigentlich fast die ganze Zeit, sobald gegen 7.30h am Morgen die Sonne über dem Barrio Nuevo aufflammt und bis nach ihrem Niedergang gegen 18.30h, aber dann haben die Straßen und Mauern noch so viel Hitze gespeichert, dass es sich anfühlt wie in einem Backofen.

Dritter Tag in der Feria El Triunfu, aber heute nimmt mich Noel (der Companero, bei dem ich wohnen kann) mit zur Asamblea annual (Jahreshauptversammlung) der Kooperative. Zuvor machen wir am Morgen ein bisschen Passata aus den aussortierten Tomaten, und ich helfe wieder im Gemüse mit, irgendwie habe ich diesen Arbeitsplatz auch schon wieder liebgewonnen. Die Arbeit auf dem Gemüsemarkt/ der Feria ist anstrengend, schmutzig und bei 30 Grad und mehr in der Markthalle schon eine Art Sport, aber ich mag sowas ja! Und werde mit dem betäubenden Duft von Koriander und Guayaba belohnt. Aber klar: es ist stressig. Und der Beat hier in der Stadt ist krasser als auf dem Land, die Menschen sind viel mehr polarisiert, und fast jedes Gespräch wird schnell politisch: Maduro oder Opposition? Und wie ich denn Venezuela finde? Und es sind täglich bis zu 3000 Menschen, die in gut organisierten Schlangen vor der Feria warten, um nach ausgelosten Nummern eingelassen zu werden, um ihren Wocheneinkauf zu machen.

Die Jahreshauptversammlung der Mitglieder von El Triunfu ist gut organisiert, wie eigentlich alles in dieser Kooperative. In einer öffentlichen Schule hier im Barrio Nuevo werden in insgesamt 12 Klassenzimmern je 40 Plastikstühle aufgestellt, die wir vorher beim Beerdigungsinstitut von Cecosesola weiter im Zentrum abgeholt haben.

(Ich habe die Fahrt hintendrauf auf dem Pickup der Kooperative sehr genossen und gierig Lärm und Abgase und Farben und Staub in mich hineingesaugt. Es ist ein bisschen albern, aber so richtig alleine die Stadt zu erkunden traue ich mich eben doch nicht. All die furchtbaren Geschichten über Raub und Diebstahl, und überhaupt: wohin soll ich denn gehen? Klar gibt es Läden, wo du mit genügend Geld auch alles kaufen kannst, aber es ist auch viel geschlossen, Häuser und Geschäfte stehen leer, verfallen. Die Asiaten haben ihre Supermärkte längst geschlossen und sind jetzt in der Devisen-Branche tätig, kaufen und verkaufen z.B. Soberanos. Das verstehe ich am allerwenigsten: dass man Geld teuer kaufen muss, das täglich seinen Wert verliert, nur damit man es für das Nötigste ausgeben kann. Eigentlich hätte ich für diese Reise ein kleines Wirtschaftsstudium benötigt, um diese bekloppte Hyperinflation zu verstehen… Kneipen oder Cafes gibt es so gut wie nicht, nur in den reichen Vierteln im Osten der Stadt. Auf vielen größeren Straßen ist Straßenmarkt, auch da bekommst du fast alles – nur eben teuer, sehr sehr teuer. Es ist tatsächlich (hier) nicht so, als ob es nichts gäbe, im Gegenteil, ich habe hier bisher keine leeren Supermarktregale gesehen. Es ist eher so, dass es eben fast keine Supermärkte oder Läden mehr gibt. Und: die Leute können sich immer weniger leisten. Die Preise steigen täglich, das Geld verliert rapide an Wert. Wirklich knapp sind v.a. Medikamente, Ersatzteile und ganz bestimmte Grundnahrungsmittel wie Reis, Nudeln, Mehl und Zucker, die werden dann rationiert. Und es gibt natürlich nicht alles immer. Und auch nicht immer das, was man so am liebsten mag und gewöhnt ist. Wie man das findet, das hat dann auch wieder viel mit einer inneren Haltung und mit der Frage der Organisation zu tun…)

Zurück in der Schule stehen auch schon die ersten Asociados (Mitglieder) draußen Schlange, um teilzunehmen. An allen Märzwochenenden werden mehrere Tausend Mitglieder der Kooperative in 40er-Grüppchen in dieser Schule über die Aktivitäten von El Triunfu/ Cecosesola informiert werden, je einE Companer@ wird mit den Teilnehmenden ein Infoblatt durchgehen, Rede und Antwort stehen, ggf. Vorschläge und Anregungen aufschreiben, die im April evaluiert werden, so dass Ende April auf einer weiteren Asamblea die Ergebnisse bzw. die angenommenen Vorschläge bekannt gegeben werden können. Insgesamt sind etwa 12.000 Asociados (Mitglieder) bei El Triunfu dabei, kaufen dort Lebensmittel und/ oder sind dort sozialversichert bzw. partizipieren im Begräbnisfonds, etwa 130 Personen sind aktiv arbeitende Companer@s.

Mitglieder auf dem Weg zur Jahreshauptversammlung in einer Schule im Viertel

Es ist eine urbane, seit über 50 Jahren fest in diesem Stadtteil verwurzelte solidarische und kooperative Struktur, die den Menschen neben den aktuell so wichtigen stabilen Preisen bei der Versorgung auch einen Sozialfonds und einen Begräbnisfonds bietet, früher auch ein Sparkonto (das macht derzeit keinen Sinn, die Kooperative selbst investiert so schnell möglich wie z.B. gerade in die Erweiterung der Markthalle) und eben auch: sozialen Rückhalt.

Die Kooperativen übernehmen hier z.T. Aufgaben, die bei uns (noch) der Staat übernimmt. Solidarische Selbstorganisation ist viel notwendiger und auch viel normaler als bei uns, sie ist selbstverständlicher Teil des Lebens, und die Mitglieder wissen den Wert der Kooperativen zu schätzen, klassenübergreifend. Die Kooperativen sind Teil des Familienlebens, nicht nur für die Companer@s, sondern eben auch für die Mitglieder, die sich häufig ehrenamtlich engagieren und an den Markttagen (Do.-So.) in der Feria mithelfen. Da El Triunfu die älteste Kooperative überhaupt ist, sogar älter als der Organismus/ Dachverband Cecosesola, gibt es hier Familien, in denen mehrere Generationen Teil dieser partizipativen, solidarischen und basisdemokratischen Struktur waren und sind.