Alltag bei CECOSESOLA

29. März 2019 / von Farina

Ich war nun zwei Wochen in Barquisimeto und habe einen Einblick in den Alltag der Companer@s hier bekommen. Es ist ein krasser Beat, der hier das Leben bestimmt, es ist völlig normal, an 7 Tagen in der Woche in einem der Bereiche der Groß-Kooperative zu arbeiten, immer wieder den Arbeitsplatz zu wechseln und ggf. noch zusätzlich Aktionen für ein Fundraising für einen der zahlreichen Sozialfonds zu unterstützen. Es ist normal, gehört dazu und wird auch erwartet.

Do bis So sind die Markttage auf den 4 großen Ferias hier in der Stadt. Morgens um 6 Uhr geht es los, und vor den Markthallen bilden sich geordnete Schlangen von Kund*innen, die im Laufe der Woche elektronisch eine Nummer zum Einkaufen im Bereich „Viveres“ (Nahrungsmittel und Produkte des täglichen Gebrauchs außer Obst und Gemüse, dazu ist der Eintritt frei) zugeteilt bekommen haben. Je nach der jeweiligen wirtschaftlichen Gesamtsituation kann so ein Markttag bis 19h aber auch einmal bis 21h oder länger dauern. Während des großen Stromausfalls vor drei Wochen war ja Obst und Gemüse auf Kredit verkauft worden und die Kund*innen handschriftlich in Listen eingetragen, ihre ID-Karten als Pfand einbehalten, da hat das alles noch viel länger gedauert…

in diesen Schachteln sind die ID-Karten der Kundschaft, die als Pfand einbehalten worden waren und jetzt gegen Begleichen der Rechnung wieder gegeben werden

Mo bis Mi ist der Arbeitsalltag wesentlich ruhiger, in den Markthallen wird die Ware angeliefert und angenommen, das Büro muss natürlich die Rechnungen erstellen und administrativ arbeiten, im CICS läuft der (hiesige und im Gesundheitszentrum von CECOSESOLA doch noch einmal erheblich geordnetere) Krankenhaus-Alltag, in den jeweiligen Kantinen kochen täglich wechselnde Teams (Rotationsprinzip!) für alle das Mittagessen und eimerweise süßen Kaffee für die Plena, täglich wechselnde Teams putzen und tun die täglich anfallenden Arbeiten. Aber im Vergleich zu den Markttagen läuft das alles sehr gemächlich, man hat Zeit für ein Schwätzchen zwischendrin, es fühlt sich fast an wie Wochenende.

Plenum im CICS:

Und doch ist es normal und gehört dazu, an jedem dieser drei Tage mindestens ein Plenum zu besuchen, das dann auch mindestes 3 Stunden dauert, oft auch den ganzen Vor- bzw. Nachmittag in Anspruch nimmt. Ich könnte auf alle Plena gehen, denn sie sind grundsätzlich für alle und auch für Gäste offen, und es ist auch ein großes Kommen und Gehen und Telefonieren und Geflüster nebenher, aber die großen Plena mit 50-100 und mehr Teilnehmenden sind für mich nicht zu verstehen: zu viele Themen, zu speziell, zu viele Stimmen und Aussprachen, zu viele fremde Menschen.

Plenum zu „Einnahmen/Ausgaben“ auch im CICS und mit ca. 100 Teilnehmenden

Aber in den kleineren Plena kann ich mich oft gut einbringen. Die Teilnahme an den Plena wird erwartet, und sie erfolgt nach Prinzipien der Delegation, sodass z.B. von den entfernteren Kooperativen wie 8 de Marzo wöchentlich andere Companer@s geschickt werden, die die Infos dann zurück in ihre Kooperative tragen. Das trifft zu für die Großen Plena wie „Einnahmen-Ausgaben“, „Planung“, „Produktion“. In den kleineren Plena wie z.B: „Austausch/ Intercambio“ oder „Radio“ sind Interessierte zu finden, die dann für dieses Plenum freigestellt sind und regelmäßig wöchentlich daran teilnehmen.

Die Plena haben keine erkennbare Tagesordnung, man springt in den Themen hin und her und wechselt auch munter zwischen Sach- und Sozialthemen und z.T. recht harter und persönlicher Kritik. Und es ist tatsächlich wie verhext: die Entscheidungen treffen sich irgendwie im Laufe eines Plenums! Irgendwann sagt eineR langgedehnt: „bueeeno…“, und alle freuen sich, weil das Plenum vorbei ist, stehen auf und wissen, was sie zu tun haben. Die Listen fuer die anfallenden Arbeiten im Rotationsprinzip sind voll, die Zahlen wurden herumgezeigt, alles ist klar.- Für mich ist es freilich ein Rätsel, die „Ferndiagnose“ lautet, dass ich hier das vielzitierte kollektive Gehirn bei der Arbeit beobachten kann, dass die Verbundenheit miteinander, die lange Zeit des gemeinsamen Wirkens dazu geführt hat, dass nach so einem Plenum auch wirklich allen alles klar ist.  Als Individuen werden sie natürlich auch die Konsequenzen des eigenen Handelns tragen müssen. Als Kollektiv werden sie genau dasselbe tun und darüber reflektieren, wenn nötig. Als Individuen werden sie Freiheit im Handeln haben in dem Wissen, für das Kollektiv zu agieren. Es hat mit Verantwortung zu tun, mit Respekt, mit gewachsenem Vertrauen und mit der Verbundenheit mit dem Kollektiv.

In fast allen Plena der vergangenen Wochen war z.B. ein großes Thema das mangelnde Engagement von einigen Companer@s während des großen Stromausfalls. Es ist vielen sauer aufgestoßen, dass es auf einer der kleineren Ferias Companer@s gab, die quasi Dienst nach Vorschrift gemacht haben und sich nicht nach ihrer eigenen Feria noch bei den großen Markhallen engagiert haben, sondern nach Hause gefahren sind.

Und im CICS gibt es derzeit einen größeren Eklat darüber, dass sich die meisten Ärzte, die ohnehin eine fragwürdige Sonderstellung innerhalb des ganzen Systems innehaben (auch hier verdienen sie mehr, auch hier sind sie „Götter in weiß“), während des Stromausfalls heimlich still und leise nach Hause zurückgezogen haben. Im Nachhinein darauf angesprochen lautete ihre Begründung, sie hätten ja ohne Strom ohnehin nicht arbeiten können… Noch ist nichts entschieden, aber es wird Konsequenzen geben, und v.a. ist nun wieder allen hier bei CECOSESOLA präsent, dass es wichtig ist, darauf zu achten, dass alle sich als Teil des ganzen Organismus fühlen und nicht nur einen sicheren und fair bezahlten Arbeitsplatz haben, an dem sie Dienst nach Vorschrift machen können. Es ist eine Frage der Haltung, des „commitment“, und genau das wird von den Companer@s auch erwartet: Haltung, Solidarität und Verbundenheit mit dem Organismus CECOSESOLA. Die soziale Kontrolle ist also durchaus stark. Man kennt sich. Man respektiert sich, aber man äußert auch direkt und schonungslos Kritik.

Ich habe drei stressige Tage auf der Feria Central, der größten Markthalle im Gemüse gearbeitet und für ein paar Stunden auch bei der Abrechnung der auf Kredit verkauften Ware und der Pfandrückgabe geholfen und dann im Gesundheitszentrum in der Küche mitgemacht. Ich habe an Plena teilgenommen und war bei der Companera Yaneris untergebracht, die im CICS arbeitet und uns vielleicht bald besuchen kommt. D.h. wenn das mit den Pässen klappt, die noch in irgendeinem bürokratischen Winkelzug in einem Büro in Caracas liegen.

Dann kamen wieder die Stromausfälle… bisher zweimal und jeweils für ca. 24 Stunden.

Und wir hocken abends im Dunkeln. Kein Licht. Kein Wasser aus der Leitung, irgendein Familienmitglied hatte aber zum Glück noch Eimer gefüllt vor dem Ausfall. Von Ferne wummernde Generatoren. Und ganz nah am Ohr sirrende Moskitos. Es ist heiß und stickig. Bei ihrem Auf- und Untergang hängt die Sonne blutrot in der staubigen Luft über der Großstadt. Immerhin scheint sie und macht tagsüber Licht. Und wieder keine Informationen, nur Gerüchte. Angeblich sind russische Militärflugzeuge in Caracas gelandet. Angeblich wurde ein Ingenieur des großen Wasserkraftwerks GURI ermordet oder verschleppt. Angeblich wird der Stromausfall diesmal länger als eine Woche dauern…

Tags darauf auf den Versammlungen Lösungsvorschläge: wieder auf Kredit abrechnen, auch im CICS?  Ja. Wie sonst? Woher Benzin für die Generatoren beziehen? Woher das Ersatzteil für den Generator der Feria „El Triunfo“ bekommen? Wie den Transport der Companer@s zur Arbeit und zurück organisieren? Gibt es noch genügend Gas in den Kantinen? Funktioniert der Generator im CICS wieder zuverlässig?

Gerade eben gibt es Strom. Und Internet. Wer weiss, wie lange?! Also schreibe ich schnell diesen Bericht, es wird aber der letzte sein hier auf dieser Seite, obwohl es sicher noch viel zu berichten gibt. Aber vielleicht sehen wir uns ja auf dem Kommuja-Jahrestreffen, wo ich gerne anbiete, Euch noch mehr zu erzaehlen. Und vielleicht sind da sogar die beiden reisewilligen Compañer@s mit dabei und koennen selber berichten, das waere ja noch viel besser!

Oder Ihr ladet mich zu Euch nach Hause ein! Ich komme gerne und erzaehle Euch von meiner Reise und meinen Erfahrungen hier in Venezuela, hier bei CECOSESOLA.

Danke fuer s Lesen und Teilnehmen und hoffentlich auf bald! 😉

Kontakt: fregolina@trillke.net