Gemeinsame Ökonomie in den Interkomm-Regionen

13. Juli 2016

Sowohl im Wendland als auch in der Region Kassel haben sich politische Kommunen zusammengetan, um sich zu vernetzen und gemeinsame Projekte an den Start zu bringen. Dazu gehört auch die gemeinsame Ökonomie. Was bedeutet die Zusammenarbeit in den Interkomm-Regionen für die einzelnen Kommunard*innen konkret? Wie kann gemeinsames Wirtschaften über die einzelnen Gemeinschaften hinaus funktionieren? Und was verstehen die Kommunard*innen unter „freiem Fluss“?

Regine Beyß aus der „Villa Locomuna“ in Kassel und Hans Wenk von der „Kommurage“ im Wendland im Gespräch.

Hans: Wir sind im Wendland ja nun schon seit 2010 im „Freien Fluss“ als Interkomm organisiert. Seit wann versteht ihr euch als Interkomm?

Regine: Die Kommunen in der Region Kassel haben vor ungefähr fünf Jahren damit angefangen, sich stärker zu vernetzen. Damals gab es vier Gruppen: die Kommune Niederkaufungen seit 1986, die Villa Locomuna in Kassel seit 2000, die gASTWERKe in Escherode seit 2007 und die Kommune Lossehof in Oberkaufungen seit 2011. Inzwischen ist noch eine dazu gekommen: Die Gemeinschaft Lebensbogen auf dem Dörnberg. Dort hatten wir vor kurzem auch unseren ersten gemeinsamen Klausurtag.

Wie sieht denn bei euch der Interkomm-Alltag aus?

Hans: Unser gemeinsamer Alltag ist, wenn ich es eng betrachte, nur das monatliche Interkomm-Treffen. Das findet in einer der Kommunen statt und beginnt mit einem Essen. Dann berichten die Kommunard*innen aus den Kommunen und Kollektiven und wir befassen uns mit unterschiedlichen Themen – mal politisch, mal kommune-alltäglich.

Regine: Mit einem solchen monatlichen Treffen fing es bei uns auch an, nach eurem Vorbild sozusagen. Es ging erstmal darum, sich stärker auszutauschen über Neues und Gutes in den Kommunen, über unterschiedliche Probleme und Erfahrungen. Außerdem haben wir eine eigene Zeitung mit Interkomm-Neuigkeiten, Berichten und Terminen. Habt ihr gemeinsame Projekte?

Hans: Die einzelnen Kommunard*innen sind ganz unterschiedlich im „Freien Fluss“ involviert. Alle sind aber irgendwie an den Arbeitsschwerpunkten einzelner Kommunen beteiligt oder wir unterstützen uns bei Baumaßnahmen. Ein gemeinsames Projekt haben wir nicht. Und ihr?

Regine: Unser größtes Projekt bisher war wahrscheinlich der gemeinsame Landkauf: Wir haben zusammen ungefähr vier Hektar Ackerflächen gekauft, das nun die beiden Gärtnereien aus Niederkaufungen und Escherode bewirtschaften. Unter anderem werden wir dort Kartoffeln für die Kommunen anbauen. Auch in anderen Arbeitsbereichen sind wir kommune-übergreifend tätig, zum Beispiel in der Tagespflege Lossetal oder im Mitgliederladen Oberkaufungen.

Und es gibt verschiedene, noch experimentelle Formen der solidarischen Ökonomie zwischen den Kommunen, aber das ist noch sehr vielfältig und individuell. Es gab erste Versuche nach dem Stundentausch-Modell. In anderen Bereichen orientieren wir uns am „Freien Fluss“. Dann haben wir aber auch noch ganz klassische Anstellungsverhältnisse, Jobs auf Honorarbasis oder Verkauf von Produkten.

Wie funktioniert gut fließt denn der „Freie Fluss“ im Wendland? Was läuft gut und wo gibt es Probleme?

Hans: Sehr gut funktioniert der Fluss von Produkten und Arbeitsleistung, finde ich. Doch es gibt auch Kommunard*innen, denen es nicht so leicht fällt, den „Freien Fluss“ zu nutzen. Da sagt wer: „So einfach wöchentlich Gemüse aus der Kommune Güstritz zu holen, ohne wirklich auf dem Acker mitzuhelfen, fällt mir schwer. Mit dem Saft aus Karmitz ist es einfacher, da haben wir Äpfel gesammelt.“ Also, die direkte Aufrechnung ist noch immer tief verwurzelt.

Nicht so gut läuft für mich zurzeit unser Wirken nach außen. Vieles hat sich eingespielt, wir müssen nicht mehr diskutieren und damit haben wir auch den Blick nach außen verloren. Ich würde gerne mehr darüber nachdenken, wie wir den Kreis der Beteiligten über den Kommunezusammenhang hinaus erweitern können, oder mit den Kommunard*innen eine gemeinsame, kommune-übergreifende Ökonomie planen.

Was meinst du: Warum gibt es bei euch noch keine kommune-übergreifende Ökonomie?

Regine: Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Und meine Antwort ist sicher auch sehr subjektiv. Erstmal glaube ich, dass viele Kommunard*innen das (noch) gar nicht wollen. Die gemeinsame Ökonomie in einer Kommune ist ja häufig schon eine Herausforderung. Die Vorstellung, mit über 150 Menschen zu solidarisch zu wirtschaften, die ich vielleicht noch nicht mal persönlich kenne, kann schon Angst machen. Alle Fragen, die sich teilweise auch in den einzelnen Kommunen stellen, werden dann noch kritischer, zum Beispiel die nach einer gerechten Verteilung oder nach den unterschiedlichen Bedürfnissen. In den Kommunen reden wir sehr viel darüber und schaffen möglichst viel Transparenz, auch was die Zeitökonomie angeht. Aber wie lösen wir das auf Interkomm-Ebene? Wie stellen wir da Vertrauen her?

Aber ich würde sagen, wir sind da im Prozess. Und der gemeinsame Landkauf war vielleicht sogar ein erster Schritt in Richtung gemeinsamer Vermögensökonomie.

Hans: Ja, das mit dem Landkauf ist schon ein großer Schritt. Ich frage mich, ob es Vertrauen braucht oder das Prinzip „Kommune“ reicht. Es gab hier eine Skepsis, den „Freien Fluss“ über den Kommunezusammenhang hinaus auszuweiten, wenn es sich um Einzelpersonen handelt. Ich bin gespannt, ob wir hier eine Lösung finden. Uns nahestehende Menschen sind zumindest teilweise am „Freien Fluss“ beteiligt.

Welche Entwicklung gibt es bei euch?

Regine: Ich bin zwar noch nicht so lange dabei, aber ich habe das Gefühl, dass das Thema „Interkomm“ wichtiger wird und wir mehr gemeinsame Projekte auf den Weg bringen. Sei es, dass wir zusammen an Aktionen teilnehmen oder uns gemeinsam Lösungen für bestimmte Probleme überlegen. Und es gibt auch ein Interesse, sich gegenseitig besser kennenzulernen. Auf unserem Klausurtag waren zum Beispiel mehr als 50 Menschen. Wir haben diskutiert und thematisch gearbeitet, aber auch schöne Dinge unternommen.

Seit 2014 organisieren wir auch gemeinsam die Interkomm-Seminare. Das ist ein tolles Format, finde ich. Menschen kommen für ein langes Wochenende zu uns und besuchen an jedem Tag eine andere Kommune. Vor Ort gibt es dann verschiedene Workshops zu Themen wie Gemeinsamer Ökonomie, Konsens, Soziales Miteinander oder linkes Politikverständnis. Bisher war das Interesse an den Seminaren recht groß und wir haben positive Rückmeldungen bekommen. Für uns als Teamer*innen ist es auch eine tolle Erfahrung, das Seminar mit den anderen Kommunard*innen zu planen und inhaltlich zu gestalten.

Und wie sieht es bei euch aus?

Hans: Wie schon gesagt, bei uns stockt es ein wenig. Klausurtage hatten wir aber auch schon. Die Beteiligung war geringer, wir waren vielleicht zwölf Leute. Gut, wir sind auch nur so um die 60 bis 70 Kommunard*innen. Im Moment denken wir wieder über ein längeres Treffen nach. Mal sehen, ob es klappt. Es gibt immer noch die Idee einer Veranstaltung hier im Wendland über den „Freien Fluss“ zu organisieren.

Was diskutiert ihr kontrovers in eurer Interkomm?

Regine: Ich kann jetzt nur aus meiner Sicht sprechen, aber mir ist vor allem in Erinnerung, dass es eine große Diskussion gab, als einige Kommunard*innen bei den Blockupy-Protesten 2015 einen gemeinsamen Interkomm-Flyer verteilt haben. Damit waren nicht alle Menschen in der Interkomm einverstanden und fühlten sich übergangen bzw. vereinnahmt. Es stellt sich also die Frage, ob und wie wir gemeinsam politisch Stellung beziehen. Oder ob wir in solchen Fällen irgendwie deutlich machen können, dass nicht zwangsläufig alle Kommunard*innen mit den Inhalten einer solchen Veröffentlichung übereinstimmen.

Und ich persönlich habe auch den Eindruck, dass die Vernetzung und die Projekte in der Interkomm vielen als zusätzliche Arbeit erscheinen. Die meisten sind sowieso schon sehr beschäftigt, sei es mit kollektiver Arbeit, mit Themen in der eigenen Kommune, mit ihrer Familie oder auch mit politischer Arbeit. Da bleibt oft wenig Zeit, auch noch zum Treffen der Interkomm zu fahren. Das ist schade, aber verständlich.

Hans: Gedanken mache ich mir über Möglichkeiten für außerhalb der Kommunen lebende, wie wir die mit einbeziehen können oder wie die sich ähnlich organisieren könnten. Denkt ihr darüber auch nach?

Regine: Wir haben schon den Anspruch, nach außen zu wirken, also als Kommunen präsent zu sein und zu zeigen, wie wir unser Leben gestalten. Wir organisieren Veranstaltungen, wir bieten bestimmte Produkte und Dienstleistungen an und viele von uns sind auch in politischen Gruppen aktiv.

Wir sind immer offen für Interessierte und beantworten eine Menge Anfragen, z.B. von Journalist*innen. Und ich denke, das Interkomm-Seminar ist auch eine gute Möglichkeit, Menschen für unsere Alternativen zu begeistern. Wir suchen ja nicht nur nach neuen Kommunard*innen, sondern wollen Leute auch motivieren und unterstützen, wenn sie eigene Projekte gründen möchten. Wir geben gerne unsere Erfahrungen weiter. Welche Gedanken hast du dir dazu denn schon gemacht?

Hans: Bei uns und bei auch bei euch gründen sich regional neue Kommunen. Ich glaube, dass unsere Vernetzung motiviert, den Versuch in Kommune zu leben fördert. Nicht nur auf die eigene Gruppe angewiesen zu sein, mehr Austausch zu haben, bereichert uns enorm.

Regine: Unsere Kommunen gehören ja alle zum bundesweiten Netzwerk der politischen Kommunen „Kommuja“, das inzwischen aus über 30 Gemeinschaften besteht. Ist das eine Kommune-Bewegung? Siehst du darin ein gesellschaftliches Potenzial? Und wie könnten wir das ausschöpfen?

Hans: Uns öffnen, sichtbarer werden regional und überregional, da noch aktiver werden – das wünsche ich mir. Ein gesellschaftliches Potential können wir sein, wenn wir gesehen werden. Zum Beispiel bei Kommunebuch-Lesungen erfahre ich immer wieder, wie überrascht die Zuhörer*innen über den „Freien Fluss“ sind. Sie können sich kaum vorstellen, dass es funktioniert. Eine Wirtschaft des „Freien Flusses“ für alle auf der Welt, ist das eine Perspektive?

Regine: Es ist im Moment leider nicht sehr realistisch. Aber eine Perspektive kann der „Freie Fluss“ auf alle Fälle sein. Und die braucht es, wenn wir etwas ändern wollen.

Dieser Artikel erschien zuerst in der CONTRASTE – Die Monatszeitung für Selbstorganisation (Ausgabe Juli/August 2016).